Ostzone - Aram Radomski

Ostzone

von Aram Radomski

  • Veröffentlichungsdatum: 2023-01-16
  • Genre: Biografien und Memoiren

Beschreibung

Die Straßen sind leer, alte Menschen führen ihre Hunde aus. Dort wo es keine Ziele mehr gibt, existieren auch keine Reisenden. Die Möbeltransportbetriebe werden selten benötigt. Umzug bedeutet Fasching oder 1. Mai oder 7. Oktober. Die Menschen halten Bilder in die Höhe, oder Fahnen, oder Luftballons. Schwarzrotgold mit Ehrenkranz. Immer sind Kinder dabei, die Hoffnung auf Morgen. Für die Umzüge in Berlin werden Verpflegungsbeutel verteilt die Grund genug sind aus anderen Bezirken freiwillig anzureisen. Stundenlanges Warten in der Hitze der Marschblöcke. A oder B-Block. Eiliges Hasten an den Tribühnen vorbei, Winken, Lautsprecherstimmen begrüßen die Werktätigen aus Karl Marx Stadt oder Rostock oder aus dem Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann. Immer ist die Kampfgruppe dabei. Die Fahnen werden auf bereitgestellte LKW geworfen, Bildertafeln und Spruchbänder extra. An der Berliner Volksbühne ein Depot mit Großrequisiten für den Umzug. Einmal zieht er sich ein blaues FDJ-Hemd an und reiht sich in einen Block ein, um am Zentralkomitee in die Augen der Genossen zu sehen. Dann sieht er müde Männer oder andere die angetunken wirken. Er drückt auf den Auslöser der Kamera, doch die Menge drängt weiter, will zum Alexanderplatz, dort warten die Busse und Bier. Durch das lange Warten in den Blöcken sind die Arbeiter schon betrunken. Diese Zuordnung seines Bildes zur Wirklichkeit, denkt er, ist allein schon der Grund zum Reisen. Die große gemeinsame Reise ist unser Umzug am 1. Mai. Wir sind kein Reiseland, denkt er, wir sind Leseland. Wir lesen die Bücher, die von der Volkswirtschaft bedruckt worden sind. Die Bücher sind der kollektive Speicher und die Gebrauchsanweisung für den neuen Menschen. In der DDR ist Lesen zur Tugend geworden. Das Fehlen der Bilder wird durch die Vorstellungskraft der Bücher ersetzt. Die Stimmen Einzelner werden korrigiert durch die Menge. "Das wollen unsere Menschen nicht." Mein Lieber, deinen Brief habe ich nun gottseidank erhalten; und ich registriere also, daß der Geist der Zensur nicht nur das von dir geschriebene, sondern auch noch gleich die von ihr "gesetzlich garantierte: GELEGENHEIT zu schreiben als den Gegenstand ihrer traurigen Arbeit betrachtet. Nun gut -, wenn sie tatsächlich etwas damit anzufangen weiß, nur zu!; ich halte mich da eher an meine Überzeugung, die jedes Element das einen Dialog schafft, als eine Freiheit begrüßt, die mich aus den Grenzen meiner Beschränkung löst.